Gertrud und Heinrich Michel, Lilli und Ursula
So rührend schreibt Heinrich Michel an seine Tochter Ursula. Er wird mit seiner Frau Gertrud und der jüngeren Tochter Lilli 1942 deportiert; Ursula lebt bereits seit 1939 in England. Ein Wiedersehen gibt es nicht. Briefe erinnern an die Verzweiflung und die Hoffnung.
Die Verfolgung von Ursula Michel und ihrer Familie beginnt in Ludwigshafen am Rhein. Ursula wird mit einem Kindertransport nach England gerettet: Sie überlebt, ihre Familie wird ermordet. Ursula Michel und das Schicksal ihrer Familie stehen stellvertretend für die Biographien vieler Opfer der NS- Zeit. Das Schicksal der Familie Michel, insbesondere der Weg der älteren Tochter Ursula Michel, führt uns die Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus vor Augen.
Die millionenfach erlebte Geschichte der Entrechtung, Verfolgung, Deportation und Ermordung von Menschen in der Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland und Europa bewegt uns alle. Detaillierte Informationen über das Leben und das Schicksal der Familie Michel können im Online-Gedenkbuch von „Ludwigshafen setzt Stolpersteine“ nachgelesen werden:
Gertrud Michel kam aus Berlin nach Ludwigshafen. Sie war mit Heinrich Michel verheiratet und hatte zwei Töchter, Ursula und Lilli Michel.
Heinrich Michel war Justizinspektor am Amtsgericht Ludwigshafen. Nach der Pogromnacht 1938 brachte man ihn für mehrere Wochen in das KZ Dachau. Im April 1942 wurden Gertrud, Heinrich und ihre Tochter Lilli nach Izbica deportiert. Dort verlieren sich die Spuren von Gertrud und Heinrich Michel.
Zu den Biografien:
Ursula Michel 1939 im Alter von 15 Jahren
Als die in Ludwigshafen geborene Ursula Michel ihre Heimat verlassen muss, ist sie 15 Jahre alt. Sie flieht in letzter Minute, im August 1939 kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, mit einem Kindertransport nach England.
Zur Biografie und zum Film über das Leben von Ursula Michel:
Ursula hat den Holocaust als Einzige ihrer Familie überlebt und in England eine neue Familie gegründet. In den Briefen, die ihre Eltern und ihre Schwester Lilli vor ihrer Deportation an Ursula schreiben, wird deutlich, wie schmerzhaft die Trennung für die Familie ist. Am 17. November 1940 schreibt Gertrud Michel an ihre Tochter Ursula:
Stephanie, Philip und Phyllis Hawthorn mit ihrem Hund Gypsy
Ursula kommt im September 1939 zur Familie Hawthorn in North Staffordshire. Dort wird sie von Phyllis Hawthorn wie ein eigenes Kind aufgenommen. Bis zu ihrer Heirat im Juli 1946 lebt sie bei ihrer neuen Familie. Auch danach bleibt die Beziehung zur Pflegemutter Phyllis, ihrer „Auntie“, sehr eng. Die Kinder Stephanie und Philip, nennen Ursula sogar ihre „deutsche Schwester“.
Phyllis und Philip Hawthorn mit Ursula Michel
Ursula in ihrer englischen Schuluniform
Ursula besucht eine „Girls' Grammar School“ in Newcastle-under-Lyme in North Staffordshire in den englischen Midlands. Sie hat bereits während ihrer Schulzeit in Deutschland Englisch gelernt. Dennoch ist es eine bemerkenswerte Leistung, dass sie nach nur zwei Jahren die Abschlussprüfungen mit einem guten Ergebnis ablegt. Anschließend absolviert sie die Ausbildung zur Sekretärin auf einer Handelsschule und arbeitet mehrere Jahre lang in der Bildungsabteilung der örtlichen Stadtverwaltung.
Porträt von Ursula - entstanden während Ursulas Schulzeit in England
Heirat mit Harold Rhodes im Juli 1946
Im März 1944 lernt Ursula bei einer politischen Versammlung Harold Leo Rhodes kennen. Er leistet seinen Kriegsdienst in den Kohleminen von North Staffordshire - ein wichtiger Beitrag zum Kriegsgeschehen. Seit seiner Jugend interessiert er sich aktiv für linke Politik. Er ist ein freundlicher, intelligenter und redegewandter junger Mann. Ursula und Harold verlieben sich ineinander und heiraten im Juli 1946. Ihr einziges Kind, Judith, kommt im Januar 1953 zur Welt.
Flitterwochen
Mit Mann und Tochter Judith im Sommer 1956
Bemühung um Gerechtigkeit - Restitutionsforderungen
Ab Mitte der 1950er Jahre stellt Ursula Entschädigungsanträge an Deutschland für das ihr zugefügte Leid und ihre Verluste: die Ermordung ihrer Eltern und ihrer Schwester, die nicht vollendete Ausbildung, den Diebstahl und die Zerstörung ihres Eigentums in der Reichspogromnacht, der Verlust des Familienbesitzes bei der Deportation ihrer Eltern und Schwester im April 1942. Ihr Prozess dauert bis Mitte der 1960er Jahre an. Obwohl sie einige Entschädigungszahlungen erhält, ist das Verfahren schwierig und schmerzhaft. Häufig sind Reaktionen äußerst bürokratisch, wenig hilfreich, sogar feindselig und diskriminierend.
Judith Rhodes, die Tochter von Ursula Michel berichtet:
Bei den Familientreffen in Berlin wurden Erinnerungen ausgetauscht und Ursula erhielt einige Gegenstände aus dem Besitz ihrer Eltern, die die Verwandten für sie aufbewahrt hatten. Dazu zählten wertvolle Antiquitäten wie Bestecke, schöne, mit den Initialen der Besitzerin bestickte Tischwäsche sowie Fotos und Briefe.
Ursula sah ihre Eltern und ihre Schwester nie wieder. Alle Geschwister ihrer Mutter Gertrud überlebten jedoch den Holocaust, da sie nur einen jüdischen Elternteil hatten und christlich getauft waren. Ursula und Harold fuhren 1951 nach Berlin und besuchten die drei Tanten, den Onkel und einen Cousin. Zehn Jahre später unternahmen sie die gleiche Reise, diesmal mit ihrer achtjährigen Tochter Judith. Umgekehrt kamen einige Verwandte der Berliner Familie nach England zu Besuch.
Ab Anfang der 1980er Jahre, machte Ursula zusammen mit ihrer Tochter und später auch ihrem Mann, Urlaub in Deutschland. Sie besuchten Orte, die Ursula aus ihrer Kindheit kannte: den Schwarzwald, Heidelberg und Mannheim. Nach Ludwigshafen wollte sie nie wieder zurückkehren. Zu groß muss der Schmerz über die erlittene Ablehnung und Vertreibung gewesen sein.
Ursula in Berlin - August 1961
Harold and Ursula Rhodes
In ihrem Ruhestand besuchten Ursula und Harold, einen Deutschkurs. Nach Beendigung des Kurses boten sie selbst für einige Freunde Deutschstunden bei sich zu Hause an. Dieser Deutschunterricht lief über mehrere Jahre und wurden von den Freundinnen und Freunden sehr geschätzt: Sie erlernten nicht nur die deutsche Sprache, sondern erfuhren viel über die deutsche Kultur.
Lilli Michel kommt am 11. Dezember 1927 in Ludwigshafen am Rhein zur Welt. Sie stirbt 1942. Weder der genaue Zeitpunkt ihres Todes noch der Ort, an dem sie getötet wird, sind bekannt. Wahrscheinlich kommt sie in Trawniki in Polen ums Leben. Zusammen mit ihren Eltern Gertrud und Heinrich und ihrer älteren Schwester Ursula lebt sie bis Mai 1939 in Ludwigshafen. Nach der Reichspogromnacht zieht die Familie nach Mannheim.
Das Foto zeigt Lilli im Alter von 2 oder 3 Jahren als das verschmitzte kleine Mädchen, das ihre Schwester Ursula in Erinnerung behalten wird.
Lilli schreibt an ihre Schwester Ursula
Lilli war ein mutiges und tapferes kleines Mädchen: Im Alter von 9 Jahren lässt sie sich ohne die Erlaubnis ihrer Eltern die Ohren stechen. Diese Kühnheit bleibt ihr auch in den kommenden Jahren erhalten, wie sich ihre Freundin Ulla Schwab (verh. Rosenfelder) erinnert. Lilli und Ulla lernen sich im Krankenhaus kennen und freunden sich an. Obwohl jüdische Kinder zu dieser Zeit nicht mehr schwimmen oder ins Kino gehen dürfen, stachelt Lilli, die inzwischen in Mannheim lebt, ihre Freundin Ulla an, mit ihr über den Fluss nach Ludwigshafen zu fahren. Dort hoffen sie, nicht erkannt zu werden und baden wie andere Kinder im Fluss oder gehen ins Kino.
Mutter Gertrud kommentiert Lillis Brief
Wie die meisten kleinen Mädchen dieser Zeit hat Lilli ein Poesiealbum, in das ihre Familie und ihre Freunden - und Freunde ihrer Eltern - Sinnsprüche, Gedichte und Zeichnungen eintragen. Im Januar 1937 schreiben Louis und Emma Pinkus ein Gedicht in Lilli Michels Poesiealbum. Louis ergänzt: „Mögest du dich auch in späteren Jahren an deinen väterlichen Freund erinnern“. Traurig ist, dass es für Lilli Michel keine späteren Jahre gab.
Im April 1942 werden Lilli und ihre Eltern nach Polen deportiert. Lilli ist 14 Jahre alt. Ihre letzte Spur ist ein Brief vom Juni 1942, den sie an ihre Tanten und ihren Onkel in Berlin richtet.
Stolpersteine für Gertrud, Heinrich, Ursula und Lilli Michel werden am 3. Mai 2010 vor dem Wohnhaus in der Pfalzgrafenstraße 67 in Ludwigshafen am Rhein verlegt.
Judith Barbara Léonie Rhodes, die Tochter von Ursula und Harold Rhodes, wird am 16. Januar 1953 geboren.
Schon als Kind weiß Judith von ihrer deutschen Familie . Von den Verwandten in Berlin erhält sie wunderbare Päckchen zu Weihnachten, Ostern und zu den Geburtstagen, mit deutschen Büchern, Spielzeug, Schokolade und Lebensmitteln. Im Alter von acht Jahren reist Judith mit ihren Eltern nach Berlin, um die Verwandten zu besuchen. Danach kommen diese mehrfach nach England zu Besuch.
Als Judith etwas älter ist, erzählt ihr ihre Mutter die schockierende und tragische Geschichte der Familie Michel und so erfährt sie, weshalb ihre Großeltern und ihre Tante nicht mehr bei ihnen sind.
Kurz bevor ihre Mutter verstirbt, nimmt Judith Kontakt mit der Stolpersteine Initiative in Ludwigshafen auf. Sie initiiert die Verlegung von Stolpersteinen für Gertrud, Heinrich, Ursula und Lilli Michel im Mai 2010 und reist dazu nach Ludwigshafen. Kurz nach Ursulas Tod kontaktiert Judith das Stolpersteine-Team erneut und eine lange Forschungsreise in die Geschichte ihrer Familie beginnt. Mit Unterstützung des Stolpersteine-Teams findet sie mehr über sie heraus, als sie es sich jemals hätte träumen lassen.
Seit sich Judith aus ihrem Beruf als Bibliothekarin zurückgezogen hat, erzählt sie ihre Familiengeschichte an Schulen in England und Deutschland. Sie zeigt den von "Ludwigshafen setzt Stolpersteine" produzierten Film über das Schicksal ihrer Familie und den kleinen Koffer, den ihre Mutter auf dem Kindertransport mitnahm, und einige Gegenständen aus dieser Zeit.
Immer wieder wird Judith gefragt, warum sie diese Arbeit macht. Dazu sagt sie: „Wir können nicht vergessen!“ Das bedeutet, dass wir weder vergessen können, noch vergessen dürfen.
Auf die Frage von Schülern: „Wenn du ein Mitglied deiner Familie treffen könntest, welches wäre es?“ erwidert Judith: „Meine Großmutter, die ich nur durch ihre vielen traurigen und liebevollen Briefe an ihre Tochter, meine eigene Mutter, kenne“.
Schulbesuch am Gymnasium in Schifferstadt, 2022
Die Suche nach Lilli
Judith erforscht ihre Familiengeschichte in offiziellen Archiven wie den Arolsen Archives und dem Landesarchiv Speyer. Darüber hinaus verfügt sie über die Unterlagen ihrer Mutter: eine umfangreiche Mappe mit Familienbriefen, Poesiealben, Fotos und offiziellen Dokumenten. Diese betreffen hauptsächlich Ursulas Restitutionsforderungen.
Im Lauf der Jahre entsteht ein umfassendes Bild über das Leben der Familie ihrer Mutter und ihrer Großeltern, ihrer Verwandten und Freunde. Trotzdem bleiben viele Fragen offen.
Besonders verstörend ist das Ergebnis der Suche nach der Tante von Judith: Lilli Michel. Judith berichtet:
Ihre Forschungsreise führt Judith nach Klingenmünster, eine kleine Stadt in Rheinland-Pfalz: Sie berichtet: “Meine Nachforschungen hatten ergeben, dass meine Großmutter mütterlicherseits zwar in Berlin geboren und aufgewachsen war, meine beiden Großeltern aber ihre Wurzeln in derselben kleinen Stadt in Rheinland-Pfalz hatten: in Klingenmünster. In Klingenmünster gibt es zwei Stolpersteine. Sie erinnern an zwei Mitglieder meiner Familie, Gustav und Alfred Levy!”
Judith findet in den Briefen ihrer Großmutter Gertrud an ihre Mutter Ursula Hinweise auf die Brüder Levy. Sie werden als „Onkel Gustav“ und „Onkel Alfred“ bezeichnet. Auch ein Schreiben aus den USA, mit dem nach dem Krieg Erbschaftsangelegenheiten geregelt werden sollen, erwähnt die beiden. Judith reist nach Klingenmünster, um die Stolpersteine zu besuchen und Blumen zum Gedenken an diese Männer niederzulegen, an die sich ihre Mutter so liebevoll erinnerte. Der Bürgermeister von Klingenmünster lädt sie zu einem Treffen mit ihm, dem Lokalhistoriker, Erich Laux, und einigen Personen ein, die die Brüder Levy noch persönlich kannten. Herr Laux stellt Judith seine neuesten Erkenntnisse über die Brüder vor und händigt ihr Fotos der Stadt und ihrer Bewohner aus. Im Gegenzug überreicht sie ihm Fotos ihrer in Klingenmünster geborenen Urgroßmutter. Deren Mädchenname war Levy und sie war mit den Brüdern verwandt.
Eine anwesende Zeitzeugin erzählt, wie beliebt die Brüder Levy im Ort waren. Sie waren die letzten verbliebenen Juden in Klingenmünster. So erfährt Judith aus erster Hand vom Tag der Deportation: Gustav und Alfred Levy wurden im Oktober 1940 in das Konzentrationslager Gurs in den französischen Pyrenäen verschleppt.
Drei der vier Großeltern von Ursula und Lilli hatten ihre Wurzeln in Klingenmünster, in der Region Weinstraße. Heinrich Michels Eltern Leopold und Jetta (geb. Mohr) und Gertrud Michels Mutter Barbara Levy gehörten der dortigen jüdischen Gemeinde an. Die letzten beiden im Dorf verbliebenen Familienmitglieder waren die Brüder Gustav (*1871) und Alfred (*1881) Levy, die im Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Nicht nur Stolpersteine erinnern in Klingenmünster an die Brüder Alfred und Gustav Levy. Ihr Schicksal ist in dem von Erich Laux verfassten Buch "Geschichte der Juden von Klingenmünster" beschrieben. Erich Laux betrieb hierfür umfangreiche Recherchen im Landesarchiv Speyer und er führte Interviews mit Zeitzeuginnen und mit Judith Rhodes. Der Reiseführer: "111 Orte in der Pfalz, die man gesehen haben muss." widmet den Stolpersteinen und den Brüdern eine ganze Seite. Aber auch in einem Roman hat spielen die Levys eine Rolle: In ihrem Roman „Das gläserne Glück“ beschreibt Lilo Beil die Nazizeit. Es geht dabei auch um die Deportation der Brüder Gustav und Alfred Levy nach Gurs.
Die Abbildung zeigt einen Ofen aus dem Haushalt der Brüder. Sie verkaufen ihn in einer Nacht- und Nebel-Aktion an einen Dorfbewohner, zu einer Zeit, als es Juden schon verboten ist, Waren zu verkaufen. Der Ofen steht heute bei einem Enkel des Käufers.
Alfred Levy
Ursula und Lilli Michel bei Onkel Alfred
Die Familie Levy aus Klingenmünster
Die letzten beiden im Dorf verbliebenen Familienmitglieder der Michels waren die Brüder Gustav (*1871) und Alfred (*1881) Levy, die im Oktober 1940 in das französische Internierungslager Gurs deportiert wurden. An sie erinnern Stolpersteine in der Weinstraße 40.
In einem vom SWR produzierten Hörstolperstein kommen mehrfach Zeitzeuginnen zu Wort. Beide Brüder waren sehr beliebt im Dorf. Alfred war jedoch derjenige, den die Dorfbewohner besser kannten, da er einen Laden hatte und auf seinem Pferdewagen durch die Dörfer fuhr, um Haushaltswaren und landwirtschaftlich Geräte zu verkaufen. Besonders gerne mochten ihn die Kinder: Er schenkte ihnen Süßigkeiten, spielte Domino mit ihnen und ließ sie sogar auf seinem Pferd reiten.
Gustav, der 1871 geborene ältere Bruder von Alfred, ist im Dorf weniger bekannt. Er arbeitet in einer Weinhandlung in Landau, verlässt morgens früh das Haus und kehrt erst abends spät zurück.
Von ihm sind keine Fotos erhalten. Ein Grabstein in Gurs, mit dem Klingenmünster sein Gedenken ehrt, erinnert heute an ihn.
Gustav und Alfred Levy werden im Oktober 1940 in das Lager Gurs deportiert. Noch kurz zuvor bittet Alfred einen Mitbürger, sich im Falle, dass er abgeholt würde, um sein Pferdchen zu kümmern. Am Tag der Abholung sitzt Alfred mit seinem Koffer auf dem Marktplatz. Als ihn ein Passant fragt, wohin er gehe, antwortet er: "Ich will kein Aufsehen erregen, aber man hat mir befohlen, hier zu sein, und man wird mich abholen."
Die Stolpersteine für Gustav und Alfred Levy wurden 2006 vor ihrem letzten Wohnort in der Weinstraße 40 verlegt.
Gurs, der Ort zu dem Gustav und Alfred gebracht werden, ist ein kleiner Ort im heutigen im Département Pyrénées-Atlantiques . Frankreich hatte dort 1939 ein Lager eingerichtet, in dem zuerst Flüchtlinge aus dem spanischen Bürgerkrieg und nach Kriegsausbruch "unerwünschte Ausländer" inhaftiert wurden. Die Gauleiter Robert Wagner und Josef Bürckel ließen am 20. Oktober 1940 in einer von langer Hand vorbereiteten Deportation alle Juden der Gaue Baden und Saarpfalz nach Gurs verschleppen. Dieser Aktion fallen auch Gustav und Alfred zum Opfer.
Gustav Levy überlebt die grausamen Bedingungen in Gurs nicht. Er starb 1942. Alfred versucht vergeblich zu fliehen. Später wird er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Die Familie Michel gehört weder der jüdischen Gemeinde in Ludwigshafen noch in Mannheim an. Gertrud und die beiden Mädchen sind getaufte Christinnen; Heinrich pflegt den jüdischen Glauben kaum. Dennoch hat die Familie Freunde und Kontakte zu jüdischen Kreisen. Beziehungen, die intensiver werden, nachdem Heinrich seinen Posten als Justizinspektor am Amtsgericht in Ludwigshafen verliert und beginnt, Mitglieder der jüdischen Gemeinde rechtlich zu beraten.
Louis Pinkus, Tochter Edith und Enkeltochter Germana am Tag der Deportation nach Gurs
Louis und Emma Pinkus leben mit ihren Kindern Edith und Lothar in Ludwigshafen in der Zollhofstraße 11. Dort erinnern Stolpersteine an sie und ihre Enkeltöchter Iris Rau und Germana Pinkus. Mit der Familie Michel pflegen sie eine langjährige, herzliche Freundschaft. Lothar Pinkus ist bis zur endgültigen Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinde im Jahr 1942 in Ludwigshafen tätig. Heinrich Michel steht ihm beratend zur Seite. Für diese Tätigkeit erhält er ein kleines Gehalt. Louis Pinkus und seine Frau Emma schreiben im Januar 1937 Gedichte in Lilli Michels Poesiealbum. Louis ergänzt: "Mögest du dich auch in späteren Jahren an deinen väterlichen Freund erinnern". Die Biographien der Familienmitglieder sind im Gedenkbuch von "Ludwigshafen setzt Stolpersteine" beschrieben:
Germana und ihre ältere Halbschwester Iris lebten in Italien. Sie wurden über die Stolpersteine informiert und erfuhren so, dass ihrer Familie noch immer gedacht wird.
Familie Schwab mit Hermann Maas
Die Familie Schwab spielt eine sehr wichtige Rolle für Ursula Michel und ihre Familie, denn Herr Schwab initiiert Ursulas Flucht mit dem Kindertransport nach England.
Lilli Michel und Ulla Schwab besuchen dieselbe Schule und freunden sich an, als sie beide mit Scharlach im Krankenhaus liegen. Auch die Eltern entwickeln eine enge Freundschaft.
Die beiden Mädchen spielen zusammen, basteln oder turnen. Auf Lillis Drängen unternehmen sie Dinge, die jüdischen Kindern nicht mehr erlaubt sind: Sie gehen schwimmen und schauen sich die neuesten Filme im Kino an. Die vier Jahre ältere Ursula Michel ist . ernster. Den Abenteuern der kleineren Mädchen hält sie sich fern.
Als die Mutter von Frau Schwab nach Gurs deportiert wird, besucht Gertrud Michel Frau Schwab jeden Tag, um sie zu trösten und zu unterstützen. Auch Heinrich Michel ist öfter bei Familie Schwab zu Gast. Die beiden Famlien wachsen immer enger zusammen.
Herr Schwab ist mit Pfarrer Hermann Maas von der Heiliggeistkirche in Heidelberg befreundet. Ihm erzählt er von der Familie Michel. Pfarrer Maas organisiert 1939 zusammen mit Mitgliedern der Quäker, der „Religiösen Gesellschaft der Freunde“ aus England, Kindertransporte. Dank Herrn Schwab darf Ursula Michel im Sommer 1939, kurz vor Kriegsbeginn nach England ausreisen.
Noch im Frühjahr 1942 versucht Herr Schwab, Heinrich und Lilli Michel zur die Flucht in die Schweiz zu verhelfen. Er fährt sie zu einem Friedhof nahe der Schweizer Grenze. Dort geben sie vor, den Friedhof zu besuchen, um einen Kranz auf einem Grab niederzulegen und hoffen, unbemerkt über die Grenze schlüpfen zu können. Im letzten Moment werden sie von einem Grenzbeamten entdeckt und verhaftet.
Bald darauf wird die gesamte Familie Michel deportiert und später ermordet. Frau Schwab, die als Jüdin gefährdet ist, und ihre beiden Töchter tauchen unter und können so die Nazizeit überleben.
Ulla Rosenfelder
Die Familie Schwab hat ihre Freunde, die Familie Michel, nie vergessen und versucht, nach dem Krieg Kontakt zu Ursula aufzunehmen. Leider lehnt Ursula zunächst jeden Briefwechsel mit Menschen aus ihrer Heimatstadt ab, doch nach einigen Jahren kommt es zu einem kurzen Briefwechsel mit Frau Schwab.
Viele Jahre später sah Ulla Schwab, jetzt Frau Rosenfelder, im Mannheimer Morgen ein Foto von Gertrud, Heinrich, Ursula und Lilli Michel, verbunden mit der Frage, ob sich jemand an die Familie erinnere. Sie setzte sich sofort mit dem Stadtarchiv Ludwigshafen in Verbindung und konnte weitere Informationen über das Schicksal der Familie Michel liefern.
Käthe, James und Ellen Todtmann, USA, 1948
Kate Todman mit ihrer Familie, USA, Mitte der 1980er Jahre
Stolpersteine für die Familie liegen in der Geibelstraße 71 in Friesenheim. In den 1930er Jahren ist die Familie schweren Repressionen durch die Nazis ausgesetzt. Nicht nur wegen ihres Judentums, sondern auch wegen der politischen Gesinnung und des Engagements des sozialdemokratischen James Todtmann. Die Familie Todtmann verlässt Deutschland in den 1930er Jahren und lebt etwa 10 Jahre lang in England, bevor sie sich schließlich in den USA niederlässt. In den USA ändert sie den Familiennamen in Todman und Käthe heißt nun Kate.
Durch Zufall lernt Ursula Michel lernt die Todtmanns in England kennen, da sie in der gleichen Stadt in den Midlands, Newcastle-under-Lyme, wohnen. Ursula erfährt von James Todtmann, dass er ihren Vater Heinrich um Rechtsbeistand gebeten hatte.
Ursula hält auch nach dem Tod von James und Ellen den Kontakt zu Kate Todtmann aufrecht, bis zu deren Tod in den späten 1990er Jahren. Und heute verbindet die Enkelin von Kate und James Todtmann und die Enkelin von Gertrud und Heinrich Michel eine Email-Freundschaft.
Zu den Biographien der Familienmitglieder im Online Gedenkbuch von "Ludwigshafen setzt Stolpersteine":
Stolpersteine für James, Käthe und Ellen Todtmann wurden am 16. März 2016 vor dem Wohnhaus in der Geibelstraße 71 in Ludwigshafen-Friesenheim verlegt.